6. Die wahre Bildungsenthalpie der Si-Si-Bindung:

In den 60er und 70er Jahren war der von Dr. Wernher von Braun favorisierte flüssige Wasserstoff zum ultimativen Raketentreibstoff avanciert. Lediglich Hydrazin und seine Derivate hatten sich, wegen ihrer nicht kryogenen Eigenschaften und ihrer Selbstentzündlichkeit mit Oxidatoren, parallel durchgesetzt. (Hydrazin und rote, rauchende, wasserfreie Salpetersäure waren ursprünglich von Braun bevorzugt worden. Beide Stoffe sind so giftig, dass Chemiker sie in ihrem Studium nie zu Gesicht bekommen.)
     

Da zu diesem Zeitpunkt nicht an eine Verwendung von Silanen als Antriebsstoffe gedacht worden ist, hat sich ein bemerkenswerter Irrtum in die thermodynamischen Untersuchungen der flüssigen Silane eingeschlichen. Professor Fehér hatte bei der Vermessung der Bildungsenthalpien nicht daran gedacht, dass die Silane in einem Kalorimeter mit reinem Sauerstoff so blitzartig abbrennen, dass in der Asche SiO2 ein Grossteil unverbranntes Silizium der Kette zurückbleibt. Die amerikanischen Chemiker Gunn und Green waren misstrauisch und mischten bei ihren Untersuchungen dem flüssigen Trisilan flüssigen instabilen Antimonwasserstoff (Stibin) bei und zündeten die Mischung mit einem heißen Draht unter Abwesenheit von Sauerstoff. Da die Bildungsenthalpie von SbH3 bekannt ist, ließ sich so leicht die wahre Bildungsenthalpie der Si-Si-Bindung bestimmen: +40,0 kJ pro Mol. Fehér hingegen hatte negative Enthalpien gemessen.
     

Er ließ durch eine Dissertation aus 1967 die Verbrennungsuntersuchung wiederholen. Die Rückstandsanalyse der Asche ergab bei Zersetzung in Natronlauge, dass unverbranntes Silizium zur Bildung von Wasserstoff führte, der sich leicht quantitativ bestimmen lässt. Leider ist eine solche Vermessung indirekt und so ungenau, dass er mit einer kaloriemetrischen Messung nicht verglichen werden kann. Deswegen hat Professor Fehér die Doktorarbeit des Diplomchemikers Dr. Hartmut Rohmer nicht veröffentlicht. Er hätte nämlich seine bis dahin publizierten Verbrennungswärmen von Tri- und Tetrasilanen als falsch zurückziehen müssen. Er brachte sich damit, ohne es zu ahnen, um die Möglichkeit, flüssige Silane als Raketentreibstoffe vorzuschlagen. Wahrend etwa Kerosin in einer heißen Brennkammer erst einmal Energie braucht, um die Kohlenstoffkette zu spalten, wird ein langkettiges Silan unter gleichen Bedingungen Wärme abgeben, wenn die Kette zerfällt. Damit ist die Voraussetzung gegeben, carcinogene Hydrazinderivate durch flüssige Silane zu ersetzen. Diese sind, im Gegensatz zu der Behauptung in den Chemiebüchern, bei Raumtemperatur in Stahlbehältern, also ohne Einwirkung von Sonnenlicht, vollkommen stabil, was über Jahre hinweg kontrolliert wurde.
       

Alle Behauptungen, wonach höhere Silane unter Zersetzung Monosilan bilden, gehören in den Bereich der chemischen Märchen und Sagen. Professor Auner, von dem später noch die Rede sein wird, schadet dem Ruf der Universität Frankfurt, wenn er über die Gefährlichkeit von höheren Silanen redet und ihre Stickstoffverbrennung leugnet.
       

Fehér hat sich, um es zu wiederholen, selbst um die Möglichkeit gebracht, auf die Idee der Stickstoffverbrennung mit Silanen zu kommen. In einer heißen Brennkammer entstehen nämlich freie Siliziumatome, die über 4 Elektronen verfügen. Da bekannt ist, dass flüssiges Silizium (Schmelzpunkt 1410°C) sehr heftig mit kaltem Stickstoff brennt, kann man sich sehr leicht ausrechnen, wie blitzartig gasförmige Siliziumatome mit Stickstoff reagieren.
       

Somit ist die Entdeckung der Stickstoffverbrennung von Silanen in einem Luft atmenden Triebwerk (Scramjet) ein als seltsam einzustufender „Zufall“, die ansonsten wohl für immer unentdeckt geblieben wäre, weil die Forschung an flüssigen Silanen ab 1986 weltweit eingestellt war. Peter Plichta hatte aber schon im Alter von 15 Jahren bei seinen Überlegungen zu einer wiederverwendbaren einstufigen, diskusförmigen Raumfähre die Idee aufgegriffen, einen Treibstoff zu suchen, der es ermöglicht, auf ein mitgeführtes Oxidationsmittel zu verzichten.

7. Die Silantragödie, Teil 2

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