7. Die Silantragödie, Teil 2:

Mit der Entdeckung der Stickstoffverbrennung begann nunmehr der 2. Teil seiner Laufbahn als Silanchemiker und, wie wir sehen werden, als Konstrukteur einer stufenfreien Raumfahrt.
       

Plichta hatte sich 1994 an den Professor für Thermodynamik an der Universität der Bundeswehr Dieter Straub, Abteilung Luft- und Raumfahrt, München gewandt. Dieser hatte Prof. Dr. Peter Kramer eingeschaltet, der bei dem Ehepaar Sänger sein Handwerk gelernt hatte. Prof. Dr. Eugen Sänger und seine Frau Dr. Irene Sänger (eine bemerkenswerte Physikerin) hatten in den 60er Jahren den Gedanken vom Überschallstaustrahlbrenner entwickelt. Das Ehepaar hatte die brillante Idee, die Wegwerf-Stufenraketentechnik durch wieder verwendbare, horizontal auf der Luft liegende Systeme zu ersetzen. Hierbei sollte ein deltaförmiges Mutterflugzeug ein Huckepack-Raketenflugzeug auf 6 Mach bringen. Dies ist ungefähr die Geschwindigkeit der Saturn V Rakete beim Abwurf der ersten Stufe. Zu diesem Zeitpunkt ist etwa 75% des Treibstoffs und Oxidators bereits verbrannt. Die Sängers wollten das mitgeführte Raketenflugzeug – auf der Luft getragen und somit die Raketengleichung umgehend – solange wie möglich auf etwa 50km Höhe halten, wobei die l‰ Luft für den Auftrieb sorgen. Für eine solche Methode ist flüssiger Wasserstoff natürlich wegen seines Volumens pro Masse der völlig falsche Treibstoff.
       

Kramer hatte zu Beginn der 90er Jahre für Daimler-Benz und MTU den ersten Staustrahlbrenner-Prototyp gebaut. Hierbei war mit einer trickreichen Idee dafür gesorgt, dass heiße Luft im Überschallbereich in den Staustrahlbrenner eingespeist und dort gestaut wurde.
Da Daimler-Benz zu diesem Zeitpunkt durch unglückliches Management ins Trudeln geraten war, mussten die Staustrahlexperimente abgebrochen werden. Etwa 600 Millionen DM wurden abgeschrieben und ein Team kluger deutscher Ingenieure in alle Winde verstreut.
        

Nach dem ersten Shuttle-Absturz hatten Kenner der Materie den zweiten Absturz, diesmal beim Wiedereintritt, vorausgesehen. Der Shuttle, der ursprünglich nach kurzem Check wieder betankt, die nächste Mission erfüllen sollte, würde in einem Desaster enden. Obwohl, z. B. der Flüssigtreibstoff-Raketenmotor so gebaut ist, dass er 100 Einsätze vertragen könnte, begann eine unerträgliche Überprüfung aller Einzelteile. Auf diese Weise stiegen die Kosten für einen Shuttle-Flug in den Bereich von einer Milliarde, was bei der Europäischen Raumfahrt auf heruntergespielte Begeisterung stieß; denn die Ariane V war fertig entwickelt und sollte endlich Gewinne einspielen.
        

Plichta und ein befreundeter Ingenieur, Dr. Klaus Kunkel, favorisierten den Gedanken, den spezifischen Impuls, der später näher erklärt wird, eines spezifischen Silans zu bestimmen. Professor Fehér hatte nämlich 1980, inzwischen war er selber 80 Jahre alt, die 10 Jahre alte Silananlage, die in Einzelteile verpackt in den Kellern des chemischen Institutes lagerte, zum zweiten Mal aufbauen lassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihn nämlich Plichta telefonisch gefragt, ob er schon mal darüber nachgedacht hätte, dass Silane Raketentreibstoffe für einen herkömmlichen Oxidator darstellen. Eine Arbeitsgruppe um den Doktoranden Helmut Baier hatte bei 600°C gesintertes Magnesiumsilizid der Zersetzung unterzogen und die Aufgabe erfüllt, große Mengen reines Disilan zu gewinnen, was in Stahlflaschen, ähnlich wie Butangas, flüssig ist. Dieses Disilan hatte Fehér anschließend zur Vermessung ins Ausland verkauft. Nach dem Tod von Professor Fehér sind alle Silanvorräte auf Anweisung von Frau Prof. Baudler vernichtet worden, eine chemische Tragödie.
        

In der oben erwähnten Schrift für die Akademie der Wissenschaften von NRW befand sich allerdings ein bemerkenswerter Hinweis auf die Darstellung eines Pentasilans ohne die saure Zersetzung. Plichta hatte Ende der 60er Jahre damit begonnen, auf dem Markt leicht erwerbbares Phenylchlorsilan dahingehend zu behandeln, dass Siliziumketten entstanden, bei denen er dann später die Phenylgruppen, bzw. die Chloratome durch Wasserstoff ersetzte und somit auf eine neue Art und Weise zu höheren Silanen gelangte. Einem von Fehérs Doktoranden war es gelungen auf die gleiche Weise ein Pentasilan zu gewinnen, chemisch korrekt ein Cyclo-Pentasilan, also ein Fünfring von der Formel Si5H10. Genau diese Methode erlaubte nun ein spezifisches Silan über eine organische Drei-Stufen-Synthese herzustellen – und zwar ohne eine gefährliche, saure Zersetzungsanlage nach Stock/Fehér.
      

Diese Aufgabe vertrauten Kunkel und Plichta 1998 dem Lehrstuhlinhaber für Anorganische Chemie in Frankfurt Norbert Auner an. Plichta war jetzt wieder in der Silanchemie und die Chemikertragödie, die mit Stock als nichtarischem Beamten unter dem Naziterror ihren Anfang genommen hatte, nahm ihren weiteren Verlauf.

8. Das Experimentum Crucis

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